Auf den Spuren der Hugenotten

Hugenottenweg, in der Morgendämmerung zum Croix du Justin

Über Jahrhunderte wurden Reformierte in Frankreich als Ketzer verfolgt. Tausende wanderten aus. In die Schweiz, nach Deutschland. Ihr Weg ins Exil durch die Drôme gen Genf führt durch ein Stück unbekannte Provence und hält die Geschichte lebendig.

Eine dunkle Gestalt huscht durch die Nacht. Treffpunkt ist ein Wäldchen oberhalb von Poet-Laval, ein kleines Nest in der nördlichen Drôme. Es ist der 27.März 1686. „Die Reise wird gefährlich sein. Frankreich zu verlassen ist uns verboten. Eine lebenslange Galeerenstrafe schwebt über unseren Köpfen.“ Frau und Kind muss der Hugenotte zurücklassen, weil das Töchterchen noch zu klein ist. In Genf will er Geld verdienen und seine Lieben nachkommen lassen. Er schafft es nach Genf. „Wir sind nicht die einzigen, die sich in Genf drängen. Die Flüchtlinge kommen jeden Monat zu mehreren Hunderten an…“ Ihm werden seine Papiere und die Kleidung gestohlen. So muss er auf der Suche nach Arbeit weiter nach Bern ziehen. Seine Familie hat er nie wieder gesehen.

Geheime Pfade

Ein Schicksal von vielen. Johannes Melsen hat es in seinem Büchlein „Alles einfach…die Geschichte einer komplizierten Reise“ auf Grundlage historischer Dokumente in Form eines Tagebuches nachgezeichnet. Melsen ist der Koordinator der französischen Wegstrecke „Sur les pas des huguenots – Auf den Spuren der Hugenotten“, die von Poet-Laval durch die Drôme und weiter nach Genf führt. Aus seiner Idee, den Exilweg der Hugenotten durch die Drôme wieder lebendig zu machen, hat sich mittlerweile ein europäisches Gemeinschaftsprojekt entwickelt, ein grenzüberschreitender Kulturwanderweg, der auf 1800 Kilometer bis ins deutsche Bad Karlshafen führt. Symbol ist eine blaue Scheibe mit weißer Figur. Sie erinnert an das „méreau“, eine geprägte Münze, die den Hugenotten als Erkennungszeichen diente zur Teilnahme an ihren geheimen Gottesdiensten. „Dank der Forschungen von Pierre Bolle, Professor an der Universität Grenoble, entspricht die Route ziemlich genau dem historischen Verlauf“, so Melsen. „Zumindest einer der Hauptfluchtwege, denn innerhalb Frankreichs gab es ein ganzes Netz geheimer Pfade. Der Charakter des Wegverlaufs ändert sich dann jenseits der Grenze. In der Schweiz und in Deutschland nutzten die Exilanten offizielle Wege und Transportarten. Sie wurden dort ja nicht verfolgt.“

Provenzalischer Frühlingszauber

Himmlischer Duft durchströmt das archaische Nest. Der Flieder steht in voller Blüte, ganze Meere blauer Iris…. Die Farben überschlagen sich. Das berühmte Licht der Provence, von Künstlern so gerne zu Papier gebracht, es beginnt in der nördlichen Drôme, wo die letzten Nussbaumhaine mit den ersten Lavendelfeldern zusammentreffen. Herrscht zur Osterzeit im Norden noch Schmuddelwetter, ist der Frühling hier schon weit fortgeschritten. Ja, sommerlich ist uns zumute, weil wir abends noch hemdsärmelig herumwandeln kann. Vom Burghügel in Bourdeaux, eine Tagesetappe von Poet-Laval, lässt sich weit über die Landschaft blicken. Auf manchem Feld fällt ein ummauertes Karree ins Auge. Ein jeder Hof hatte seinen Privatfriedhof, da es Hugenotten untersagt war, auf dem kirchlichen Friedhof begraben zu sein. Bourdeaux war einst zu 99 % hugenottisch.

Esel tragen das Gepäck

Pascaline und Barbara wollen uns ein Stück mit ihren Eseln begleiten. Ein eingespieltes Team, denn im Herbst 2010 sind sie die 400 Kilometer vom Musée du Protestantisme Dauphinois in Poet-Laval bis zum Musée de la Réforme in Genf an einem Stück gewandert. „Der Weg ist brandaktuell, denn Flucht, Exil, Toleranz und Integration bestimmen mehr als genug die heutigen Schlagzeilen“, sagt Pascaline. Die Hugenotten gelten heutzutage „als Wegbereiter der Gewissensfreiheit und als Beispiel für Standhaftigkeit und die Notwendigkeit religiöser und bürgerlicher Toleranz“, schreibt Eberhard Gresch im Vorwort seines Standardwerkes „Die Hugenotten“.
Die Esel sind mit unserem Gepäck beladen. Es geht auf steinigen Pfaden in die Höhe. Der lichte Eichenwald lässt genug Sicht zum Bestaunen der Landschaft, die sich als Hügelteppich um uns ausbreitet. Es duftet am Wegesrand: Wilder Lavendel, Thymian, Ginster, Rosmarin…. In unmittelbarer Nähe bäumen sich die Trois Becs. Monumentale Felsklippen, denen eine Laune der Natur drei „Schnäbel“ aufgesetzt hat. Faszinierender Blickfang, während wir den Col du Chaudière passieren. Jenseits finden wir in der abgelegenen Auberge 3 Becs ein Nachtlager mit dem Luxus von Schwimmbad und Sauna. Anderntags dürfen wir ein bisschen den Strapazen nachfühlen, die auf dem Fluchtweg Alltag waren. Der Weg ist zäh, ein Auf und Ab durch schluchtartig eingegrabene Täler, ein gnadenloser Sprühregen drückt für ein paar Stunden aufs Gemüt. St-Benoît wirkt verlassen, nur die auf einem Felssporn thronende Dorfkirche gibt uns für eine Weile Schutz. Die knorrigen Reben durch die wir aus dem Roanne-Tal steigen, gehören bereits zum Clairette-Anbaugebiet, jenem fruchtig-erfrischenden Perlwein, mit dem sich das Städtchen Die rühmt. Nebel wabbert mystisch durch die Gebirgsfalten und über die Hochebene von Rimon-et-Savel.

Ostersonntag am Croix Justin

Stockdunkle Nacht. Die Lichtkegel unserer Stirnlampen irren durchs Gelände. Wo ist der richtige Weg? Gut, dass es schon dämmert, als wir abenteuerliche Felsbänder queren. Der Zauber des anbrechenden Tages nimmt gefangen. Die pure Stille wird nur von Käuzchen und knackendem Geäst unterbrochen. Just zum Sonnenaufgang taucht das wuchtige Kreuz auf. Seit einem Jahrzehnt ist die Osterzeremonie am Croix Justin, von wo man so herrlich ins Dios blicken kann, Tradition.
„Es war 1952 als drei Männer aus Louisendorf ins Dios kamen und sich als Hugenotten von Die outeten“, erzählt Paul Castelnau, langjähriger Pfarrer von Die und Bourdeaux. „Daraus hat sich eine enge Städtepartnerschaft entwickelt. Louisendorf bei Marburg in Hessen wurde 1688 von 16 Hugenottenfamilien gegründet.“ Der 71jährige spricht gut deutsch. In Heidelberg hat er studiert. Jetzt ist er pensioniert. Aber weil es nicht mehr genügend Pfarrer im Dios gibt, springt er öfter ein. „Als Pierre Gay, Priester von Die, anno 1551 Luthers und Calvins Theorie aus Paris mitbringt und verkündet, das war wie ein Feuer“, weiß er. „Fast alle hier wurden evangelisch. Die Zeit war reif, man war mit dem Katholizismus nicht zufrieden. Reformiert kommt vom lateinischen reformare: erneuert, von Missbräuchen gereinigt.“ Den darauf folgenden Religionsstreitigkeiten versuchte Heinrich IV. mit dem Edikt von Nantes 1598 Einhalt zu gewähren. In dieser Zeit wurde Die mit 4000 Hugenotten zur Hochburg des Protestantismus, gestärkt durch die Gründung einer „Académie“ (Universität) 1604, wo hochkarätige Lehrer unterrichteten. Doch die Unterdrückung blieb, verschärfte sich ab Mitte des 17.Jahrhunderts und erreichte mit der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 ihren Höhepunkt. Die Akademie wurde geschlossen, Kirchen zerstört, Pfarrer vertrieben und Dragoner ausgeschickt, die gewaltsam den Religionswechsel zu erzwingen versuchten. Ein wirksames Mittel war die Entführung der Kinder. Unzählige Reformierte starben auf dem Scheiterhaufen, wurden eingesperrt und misshandelt. Diejenigen, die nicht flohen, lebten ihren Glauben im Untergrund weiter, trafen sich, „du désert“ (in der Wüste) nannten sie es, zu heimlichen Gottesdiensten im Wald. „Gespenstisch muss das auf die Katholiken von damals gewirkt haben“, vermutet der Pfarrer. „In Tours verglich man sie mit dem Stadtgeist Hugo Capet und verspottete sie als „huguenots“, als Hugenotten. So entstand der Name, den die reformierten Franzosen selbst übrigens nie benutzt haben.“
Paul Castelnau stimmt zum Gesang an, während Noèmie Woodward, eine junge Pastorin aus dem Diois, mit ihrer Geige den Chor begleitet.
Von der stimmungsvollen Predigt erfüllt, nimmt man den 1000 Höhenmeter Abstieg nach Die ganz anders wahr. Der Hauptort des Dios hat viel Charme. Die engen Gassen spenden auch Mittags noch Kühle. Geschichtsträchtige Ecken: römische Hinterlassenschaften, Patriziervillen, barocke Türschnitzereien…

Hugenottenschmaus in Die

Am Abend wird uns ein köstliches Essen aufgetischt, gekocht nach alten hugenottischen Rezepten, die Christa Gombel aus dem hessischen Greifenthal zusammen trug. Die Suche nach den Vorfahren ihres Mannes hat sie vor 25 Jahren nach Manglon, ein kleines Dorf nicht weit von Die, geführt. „Die Überraschung war unbeschreiblich, als wir vor der Tür der Familie Rambaud standen und sagten: Wir sind eure deutschen Verwandten“, erinnert sie sich. Die Massenauswanderung nach der Annullierung des Edikts von Nantes hat Frankreich rund eine Viertel Million qualifizierte Fachkräfte gekostet. Vor allem auch in Deutschland waren die gebildeten „Refugiés“ (Flüchtlinge) willkommen. „Graf Wilhelm-Moritz zu Solms-Greifenstein ließ für die sie sogar ein ganzes Dorf räumen“, erzählt Christa Gombel. „Das Land war vom Dreißigjährigen Krieg ausgebrannt. Die Hugenotten brachten neue Techniken mit, waren tüchtig und förderten die Wirtschaft. Weil Daubhausen nicht genug Platz bot, stellte der Graf noch einen nah gelegenen Meierhof zur Verfügung, um den das Dorf Greifenthal entstand.“
Der Meierhof, der 1685  Théophile Rambaud übergeben worden war, ist bis heute im Besitz der Familie, in die Christa Gombel eingeheiratete und wo sie mit hugenottischen Kochseminaren Furore macht. Im September 2001 wurde ihr für ihre Bemühungen im Dienste der deutsch-französischen Freundschaft und Verständigung von Frankreich der Kulturorden der Republik verliehen.

Am Fuße des Vercors

An den dramatischen Felsfluchten des Vercors entlang führt uns der Exilweg über das fotogene Burgdorf Châtillon zum Col de Menee, dem Mitternachtspass. Zu Ehren der Flüchtlinge, die den Pass zur mitternächtlichen Stunde überschritten, prangt ein großes Holzkreuz am Scheitel.  « Aime Dieu et va ton chemin » gibt die Inschrift den Wanderern mit auf den Weg.

Fotostrecke:

INFOS:

Anreise: Mit dem Zug bis Montélimar (www.sncf.fr), dann per Bus bis Poet-Laval.. Mit dem Auto von Genf über Grenoble kommend A49 über Valence bis Montélimar und auf der D540 bis Poet-Laval.
Information: Atout France in Frankfurt, info.de@franceguide.com, www.franceguide.com; Comité départemental du tourisme de la Drôme in Valence, Tel. 0033/(0)4/75 82 19 26, www.drometourisme.com. Office de Tourisme du Pays Diois in Die, Tel. 0033/(0)4/75 22 03 03 ; Verein Hugenotten- und Waldenserpfad, www.hugenotten-waldenserpfad.eu. Unter www.surlespasdeshuguenots.eu finden sich in der Rubrik “Der Weg in Frankreich” alle Etappen auf Karten dargestellt.
Karten & Führer: IGN 1:25.000 Blätter 3038 E, 3138 OT, 3137 OT, 3237 OT. Vor Ort erhältlich ist der Führer: Guide Étape Sur les Pas des Huguenots. Auch wenn die Wegbeschreibung nur auf französisch ist, sind die Faltkarten mit exakter Routenführung sehr praktisch.
Veranstalter: Seit drei Jahren wird die Strecke durch die Drôme mit Gepäcktransport individuell oder mit kenntnisreichen Führern angeboten. Besonders attraktiv gibt sich die Osterwoche, in der täglich themenbezogene Attraktionen geboten werden. Besondere Hugenottenessen, mal ein Konzert, mal eine Zusammenkunft in der Kirche, Dorfführungen, etc. Der Höhepunkt ist eine Nachtwanderung am Ostersonntag, um bei Sonnenaufgang eine Zeremonie am Croix du Justin miterleben zu können. Vercors Escapade, Tel. 0033/(0)4/75 22 07 62, www.vercors-escapade.com. Genaue Infos auf deutsch kann Paul Zeller geben.

ROUTE:

1. Poet-Laval – Dieulefit 5,8 km, 1.30 Std., ­171 m ¯164 m
2. Dieulefit – Bourdeaux 15,5 km, 4 Std., ­681 m ¯664 m
3. Bourdeaux – La Chaudière 11,4 km, 4 Std., ­890 m ¯319 m
4. La Chaudière – Rimon-et-Savel 16,9 km, 5 Std., ­ 1177 m ¯ 1161 m
5. Rimon-et-Savel – Die 17,8 km, 5 Std., ­671 m ¯1255 m
6. Die – Valcroissant 7,6 km, 2 Std., ­ 695 m ¯398 m
7. Valcroissant – Châtillon-en-Diois 11,6 km, 4 Std., ­ 880 m ¯ 896 m
8. Châtillon-en-Diois – Les Nonières 11,3 km, 4 Std., ­ 1151 m ¯ 852 m
9. Les Nonières – Le Percy 17,3 km, 5.30 Std., ­ 1108 m ¯ 1194 m

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