Liebesgrüße aus dem Dickicht

Vogelbeobachtung am Étang Nord, Petite Camargue Alsacienne

Die Petite Camargue Alsacienne vor den Toren Basels bewahrt ein Stück der letzten Auenlandschaften am Rhein. Ein Paradies für Vögel. Im April wird geträllert, was das Zeug hält, um einen Partner ins Nest zu bekommen. Mit ihrem Gesang übertrumpft die Nachtigall alle. Wir haben einen Ornitologen begleitet.

Songcontest in der Petite Camargue Alsacienne (PCA), wenn von Mitte April bis Ende Mai die Nachtigallen um die Wette trillern. Das Aufgebot ist hoch. Auf nur 18 Quadratkilometer kommen hier 200 Nachtigallen (zum Vergleich: in der Schweiz leben etwa 2000), weiss Valentin Amrhein, Leiter der Forschungsstation der Uni Basel im Herzen der kleinen Elsässer Camargue. Mittels winziger, an den Vögeln befestigter Sender, konnten in den letzten Jahren zahlreiche Geheimnisse gelüftet werden. Jene Meistersänger, von denen sich nicht nur Beethoven und Chopin inspirieren liessen, verfügen über ein gewaltiges Repertoire: Jedes Männchen singt etwa 200 verschiedene Strophentypen.

Ein paar Studenten pirschen mit dem Ornitologen durch ein Urwald ähnliches Gelände und das nur sechs Kilometer von Basel entfernt. Feuchtbiotop reiht sich an Feuchtbiotop und, gäbe es Flamingos, könnte man sich tatsächlich in der provenzalischen Camargue wähnen. Nachtigallen lieben vor allem die Uferböschungen und Waldränder, wo sie ihre Nester in Brennesseln und Gestrüpp verbergen. Sie sind Bodenbrüter. Durch die Begradigung von Flüssen, dem Ausputzen von Krautbändern, Heckenlandschaften und unterholzreichen Waldrändern, wird ihnen das Leben schwer gemacht. In der Petite Camargue findet sie die idealen Bedingungen. Auwälder zählen zu den seltensten Ökosystemen, weil seit Mitte des letzten Jahrhunderts fast alle grossen Flussläufe eingedeicht wurden.

Ausdauer gefragt

Ein typischer Triller lässt wieder aufhorchen. Eine Nachtigall flötet aus Leibeskräften. Ganz nah, doch sie bleibt hinter Blattwerk gut verborgen. Äusserst selten, dass man den unscheinbaren Vogel auch sieht. Nur 16 bis 17 Zentimeter gross, kastanien- bis rötlichbraunes Obergefieder, der Bauch weiss oder hellbraun, doch welche eine Stimme. Die zierlichen Geschöpfe schaffen bis zu 100 Trillerelemente pro Sekunde und gehören damit zu den schnellsten Sängern. In einer Stunde können sie bis zu 500 Strophen vortragen und erfinden dabei immer wieder neue Kombinationen. Kormorane quatschen im Hintergrund. Auch jede Menge Mönchsgrasmücken und Grünfinken haben sich was zu erzählen. Amrhein kennt jede Stimme. Er imitiert einen Grauspecht und bekommt tatsächlich Antwort.

Eigentlich nicht erstaunlich, dass Valentin Amrhein aus einer musischen Familie stammt, er selbst Geige spielt und ein geschultes Gehör für Töne hat. Und doch kam ein Zufall zum anderen. Die Liebe führte den Bonner 1992 nach Basel. Um sein Studium zu finanzieren, konnte er gegen ein bescheidenes Entgelt in der PCA Schottische Hochlandrinder füttern und Nachtigallen zählen. Aus den Zählungen wurden eine Diplomarbeit und eine Doktorarbeit über Nachtigallen. 1999 übernahm Amrhein die Leitung der Forschungsstation und seit 2006 unterrichtet er als Professor der Ornithologie am zoologischen Instutut der Uni Basel. Spezialgebiet: natürlich Nachtigallen.

Trällern für die Liebste

Zwölf Jahre lebte Amrhein in der Petite Camargue. Ein Privileg, in einem Naturschutzgebiet wohnen zu dürfen. «Ich genoss die Zeit, auch wenn es in den Anfangsjahren weder Wasserleitung noch Telefonanschluss gab», schwärmt der Ornithologe und fügt schmunzelnd hinzu: «Im Frühling aber war an Schlaf nicht zu denken.» Denn Nachtigallen singen auch nachts, dann wenn andere Vögel schlafen. Lange beschäftigte die Wissenschaft, warum sie das tun. Amrhein und sein Team fingen Nachtigallen-Weibchen und befestigten am Gefieder Radiotelemetrie-Sender. Die sind winzig klein, so Amrhein. Sie wiegen nur einen Gramm und behindern die Vögel nicht. Nach wenigen Wochen fallen die Sender von alleine wieder ab. Mit einer Hand am Velolenker, in der anderen die Telemetrieantenne, jagten die Forscher mitten in der Nacht den Weibchen hinterher und sammelten dabei wertvolle Erkenntnisse. Weil die Weibchen Nachtschwärmer sind, haben die Männchen ihren Gesang auf nach Mitternacht verlegt, um sie zu betören. Zwischen Mitternacht und Vier Uhr morgens legen die Damen bis zu sechs Kilometer zurück. Sie flattern von Revier zu Revier und hören sich die Konzerte an. Je schwieriger und schneller ein Bursche trillert, um so größer ist vermutlich die Chance, bei einer ins Nest zu steigen. Einmal geschafft, wird der Gesang auf tagsüber verlegt. Nur Singles singen nachts, erklärt Amrhein. Die Zeit um Sonnenaufgang gilt dem Rivalengesang, mit dem das Revier gegen andere Männchen verteidigt wird.

Stimmenvolles Potpourri

Es riecht nach Bärlauch, duftet nach Holunderblüten und Akazienhonig. Dazwischen mischt sich ein modriger Geruch von stehendem Gewässer und Vogelkot. «Wenn meine erstgeborene Tochter solch ein Potpourri in die Nase bekommt, sagt sie immer: Es rieche nach Petite Camargue,» lächelt Amrhein. Mit dem zahlreicher werdenden Nachwuchs wurde das Häuschen zu klein und die Familie zügelte nach Riehen.

Mehrere ausgeschilderte Rundwege führen durch die 1982 zum Naturschutzgebiet ausgewiesene Auenlandschaft zwischen den Elsässer Dörfern Village-Neuf, Saint-Louis und Rosenau. Wasser gluckst unter Stegen durch. Ein Eisvogel hüpft immer wieder über die Bohlen und zeigt kaum Scheu vor den Besuchern. Die Bäume um den «Étang en U» tragen schwer an den Nestern von Reihern und Kormoranen. In einem der Beobachtungstürme klemmt der 8-jährige Lennart hinterm Feldstecher und kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. So viele verschiedene Vögel auf kurzer Distanz hat er nun schon gesehen. Nur die Nachtigall, die bleibt geheimnisvoll und trällert nur aus dem Verborgenen. «Im Grunde sind es ja afrikanische Vögel», findet Amrhein, «die bei uns ihre Flitterwochen verbringen und nach vier Monaten heim nach Afrika reisen.»

Dank Geodatenlogger konnten die Forscher das Winterquartier der kältescheuen Nachtigallen aufspüren. Sie bevorzugen Ghana und die Elfenbeinküste. Dort üben die jungen Männchen ihre Arien. Amrhein fuhr extra hin, um herauszufinden, dass sie dort oft «nicht klar und melodisch, wie in Europa üblich, sondern eher ungehobelt, fast dilettantisch» sängen. Übung macht den Meister. Davon kann man sich in der Petite Camargue überzeugen, am besten zwischen 20. April und 20. Mai, empfiehlt der Ornithologe.

Fotostrecke



Wandertipp Petite Camargue Alsacienne

Wildromantisch liegt im Herzen der PCA die Pisciculture, die Kaiserliche Fischzuchtanstalt, 1852 als erste Salmoniden-Brutanlage Europas erbaut, dank Napoleon, der gerne Lachs ass. In den Nebengebäuden sind, neben der Forschungsstation, auch zwei Museen untergebracht. Das eine widmet sich unter dem Titel «Mémoire du Rhin» der Geschichte des Rheins und der Natur vor Ort, im anderen ist die Ausstellung «Mémoire du Saumon» untergebracht, die Wissenswertes über den Lachs vermittelt.

www.petitecamarguealsacienne.com

  • Schwierigkeitsgrad: Wanderung T1
  • Länge: 5 Kilometer
  • Dauer: 1 h 30 min bis den ganzen Tag
  • Körperliche Anforderung: tief
  • Eignung: für Familien
  • Aufstieg: 34 Meter
  • Abstieg: 34 Meter
  • Wanderkarte: kostenloser Faltplan, vor Ort erhältlich
  • Beste Wanderzeit: immer

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